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Hält das Konzept New Work, was es verspricht? Realität vs. Imagination

7 Min. Lesedauer

"I don't want realism. I want -- magic. [...]
I don't tell the truth, I tell what ought to be the truth.
And if that's a sin, then let me be damned for it!"

(Blanche DuBois, A Streetcar Named Desire) [1]

Wir haben das Jahr 2020, haben also gerade erst ein neues Jahrzehnt betreten. Ein solcher Wechsel gibt für gewöhnlich Anlass für etliche Diskussionen - über das, was ist und über das, was kommt. Tatsächlich kommt einiges auf uns zu. Insbesondere die Zukunft der Arbeitswelt, das was gemeinhin als New Work bezeichnet wird, ist seit geraumer Zeit Thema tiefgreifender Diskussionen. Jetzt, nachdem wir nahezu die erste Jahreshälfte hinter uns gebracht haben, können wir sagen: Die Welt befindet sich auf einer Schnellstraße in Richtung New Work, denn der Wandel geht weitaus schneller vonstatten als es sich viele vorgestellt hätten.

Gerade die Situation um die Corona Pandemie begünstigt das Fortschreiten neuer Arbeitsweisen. Wir sprechen von Home Office, flexiblen Arbeitszeiten und digitaler Zusammenarbeit. All das verspricht man sich von dieser "Neuen Arbeitswelt 4.0". All das sehnt sich ein Großteil der Arbeiterschaft schon seit langem herbei. Doch ist das, was New Work verspricht, auch wirklich das was uns in der Realität erwartet?

Steigen wir auf, auf das "Streetcar named Desire" in Richtung Realität um zu sehen, was uns an der Endstation erwartet: Das, was uns New Work verspricht, was sich die Bevölkerung erhofft oder eine völlig andere Realität?

New Work verspricht mehr Flexibilität: Remote Work, verteilte Teams und flexible Arbeitszeiten

Die Gesellschaft schreit nach Flexibilität. Laut einer Umfrage von EY, steht Flexibilität weit oben auf der Wunschliste der Arbeitnehmer und zwar direkt hinter der Forderung nach angemessenen Gehältern und Benefits. Dabei wurden immerhin fast 10.000 Vollzeitbeschäftigte aus den USA, England, Deutschland, Brasilien, Mexiko, Indien, China und Japan befragt.

Flexibilität

New Work verspricht diese Flexibilität - sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber. Die Digitalisierung ermöglicht zeit- und ortsunabhängiges Arbeiten, da sie die Gesellschaft auf allen Ebenen vernetzt. Teams müssen sich in Zukunft nicht mehr an einem Ort versammeln um zusammenarbeiten zu können und sind damit auch zeitlich flexibler. Mitarbeiter sind Teil sogenannter Distributed Teams (Teams, deren Mitglieder über verschiedene Standorte verteilt sind), sie arbeiten im Homeoffice, unterwegs und auf selbstständiger Basis. Gängige Bürozeiten sind hinfällig und müssen nicht mehr zwingend eingehalten werden.

Was die Gesellschaft erwartet

Flexibilität ist also ein wichtiger Faktor und New Work soll diese Flexibilität ermöglichen. Doch was versteht man eigentlich unter "Flexibilität am Arbeitsplatz"?

Mehr Balance zwischen Freizeit und Arbeitszeit

Zumeist wird Flexibilität mit variablen Arbeitszeiten in Verbindung gebracht und mit der Möglichkeit, von Zuhause aus oder unterwegs zu arbeiten. Mitarbeiter wünschen sich neben der Arbeit mehr Zeit für Familie und Freunde, sie möchten Beruf und Privatleben in Einklang bringen; mehr Balance. Gerade Pendler profitieren davon, auf lange Fahrtwege zwischen Wohnort und Arbeitsplatz verzichten zu können und eine freie Zeiteinteilung kommt schließlich auch dem Sozialleben zugute - so jedenfalls die Vorstellung der Arbeitnehmerschaft.

Laut Eurostat pendelten in der Europäischen Union 2018 rund 18,3 Millionen bzw. 8,3 % der Beschäftigten von einer Region zur anderen. In Deutschland liegt diese Zahl etwas über dem europäischen Durchschnitt. Hier betrifft es etwa 10% der Fachkräfte. Man kann sich durchaus vorstellen, dass die Möglichkeit, remote zu arbeiten, gerade für diese Gruppe besonders verlockend ist.

Unternehmen erhoffen sich dadurch eine motivierte Belegschaft und Kostenersparnis durch den sinkenden Bedarf an physischen Arbeitsplätzen. Ein flexibleres Arbeitsmodell soll der Schlüssel sein.

Ein besseres Angebot am Arbeits- und Bewerbermarkt

New Work beinhaltet in der Vorstellung vieler auch Flexibilität am Arbeits- und Bewerbermarkt. Besteht die Möglichkeit, ortsunabhängig zu arbeiten, ist auch der Wohnort nicht mehr zwingend an den Firmenstandort gebunden (oder umgekehrt), was inbesondere für Menschen aus Gegenden mit hoher Arbeitslosenrate vorteilhaft sein kann. Das Angebot an potentiellen Arbeitgebern ist größer.

Der Vorteil spiegelt sich auch auf Arbeitgeberseite wieder. Unternehmen sehen durchaus Potential durch mehr Flexibilität in ihrer Mitarbeiter-Ressourcenplanung. Interessant wird ortsunabhängige Zusammenarbeit, sobald der lokale Talentpool ausgeschöpft oder limitiert ist, etwa, weil nach Personen mit speziellen Fertigkeiten oder Sprachkenntnissen gesucht wird. Zudem können Arbeitskräfte anderorts günstiger sein.

Auch alternative Arbeitsvereinbarungen sind Teil dieser Flexibilität - beispielsweise Freelancer, die über keine verbindliche Vereinbarung über eine Vollzeitbeschäftigung verfügen. Laut dem "The Future of Jobs" Bericht des World Economic Forum erwarten 50% der Arbeitgeber einen erkennbaren Rückgang der Vollzeitbeschäftigung in ihren Unternehmen und wollen stattdessen mehr Freiberufler einstellen.

Flexibilität in der Realität: ein zweischneidiges Schwert

Flexibilität auf Kosten von Sicherheit

Mehr Flexibilität bringt Mitarbeitern wie auch Arbeitgebern mehr Freiheit. Andererseits fordert es auch einen gewissen Grad an Sicherheit und für freie Mitarbeiter im Speziellen den rechtlichen Schutz, der in vielen Ländern nur Mitarbeitern in einem festen, unbefristeten Arbeitsverhältnis zugesichert wird.

Auch für Arbeitgeber hat ein solches Arbeitsverhältnis nicht nur Vorteile, schließlich können auch Mitarbeiter dieses jederzeit beenden. Die Zusammenarbeit in Unternehmen mit einem hohen Anteil an flexiblen Arbeitskräften ist durch einen ständigen Fachkräftewechsel geprägt. Eine strategische Einsatzplanung wird durch die unregelmäßige Anwesenheit von Mitarbeitern erschwert. Mitarbeiter müssen häufiger eingearbeitet werden oder sich nach längeren Unterbrechungen erst wieder einfinden.

Flexibilität auf Kosten der Kommunikation & des Teamspirit

New Work wird durch den Einsatz digitaler Lösungen gesprägt, welche die Kommunikation über große Distanzen ermöglichen. Gut strukturierte Team Chats wie auch Audio- und Video-Telefonie können die Kommunikaton im Team verbessern. Ein kompletter Ersatz für den persönlichen Direktaustausch sind sie jedoch nicht. Informationen können untergehen oder missverstanden werden. Auch das Zusammengehörigkeitsgefühl leidet unter Distanz. Mitarbeiter, die ausschließlich über digitale Lösungen mit Kollegen in Kontakt treten, fühlen sich oft nicht als Teil des Teams.

Arbeitgeber stehen dem Thema Homeoffice noch skeptisch gegenüber, da sie die Kontrolle vollständig abgeben müssen und fürchten, die Produktivität der Mitarbeiter würde zurückgehen. Für sie ist es schwieriger, die Leistung mit anderen Mitarbeitern zu vergleichen und gerade wenn es um Beförderungen und Gehaltserhöhungen geht, werden Remote-Mitarbeiter häufig vergessen oder hintenangestellt.

Zahlreiche Studien zeigen allerdings, dass Mitarbeiter im Homeoffice sehr viel mehr und auch produktiver arbeiten, als im Büro - laut der Standford University sogar um 13%. Das ist ein Umstand, der für die Mitarbeiter äußerst problematisch werden kann. Wie viel gearbeitet wird - und das ist für gewöhnlich mehr als im Büro oder im Arbeitsvertrag geregelt ist - ist nicht für alle sichtbar und damit wird die Arbeit auch nur unzureichend anerkannt. Die Folge ist, dass sich Mitarbeiter ein noch größeres Arbeitspensum aufladen und noch länger arbeiten, was auf Dauer zu psychischer Belastung führt - ein Teufelkreis. Letztlich bringt uns die "Flexibilität" genau das Gegenteil von dem, was sie verspricht: Sie wirft Job und Freizeit aus der Balance, denn wir sind "always-on".

New Work setzt auf flache Hierarchien anstatt eines starren Top-down-Managements

Viele Unternehmen locken Bewerber mit dem Versprechen, "flache Hierarchien" zu leben. Diese werden als das absolute Gegenteil zum traditionellen Führungsstil dargestellt, in dem eine Führungskraft die Zügel in die Hand nimmt und die anderen Mitarbeiter anweist und lenkt. Insbesondere im agilen Projektmanagement werden flache Hierarchien gelebt und gefördert.

Flache Hierarchien

Neue Arbeitsmodelle versprechen eine völlig andere Unternehmenskultur. Eine moderne und hippe Unternehmenskultur, in der alle gleichgestellt und "per Du" sind. Daraus sollen sich einige Vorteile ergeben:

  • kurze Entscheidungswege
  • selbstbestimmtes Arbeiten und Gestaltungsfreiraum
  • mehr Wertschätzung und Kommunikation auf Augenhöhe
  • eine offene Feedback-Kultur
  • ein ungezwunges Betriebsklima

Was sich die Gesellschaft erhofft

Wer von flachen Hierarchien hört oder liest, hat sofort ein gewisses Bild im Kopf. Teammitglieder und Chefs, die fast freundschaftlich miteinander umgehen und Ziele gemeinsam als Team verfolgen. Jeder ist gleichgestellt und alle sind motiviert, weil sie sich wertgeschätzt fühlen. Das ist natürlich ein Umfeld, indem jeder Mitarbeiter gerne arbeiten würde.

Auch die Unternehmen erkennen, welchen Wert eine solche Unternehmenskultur haben kann. Wo viele Köpfe sind, sprudeln auch viele Ideen, doch diese treten nur zutage, wenn sich Mitarbeiter in ihrem Umfeld wohl fühlen und das Gefühl haben, ihre Meinung wird geschätzt. Wer diese Wertschätzung spürt und nicht jede kleine Entscheidung absegnen lassen muss, der ist nicht nur offener, was die eigenen Ideen angeht sondern auch motivierter, da er sich als Teil eines großen Ganzen fühlt.

Flache Hierarchien in der Realtität

Bestehende Hierarchiekonstrukte aufzubrechen und abzuflachen ist in der Realtität nicht so einfach und das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist unsere Gesellschaft seit jeher an feste Hierarchien gewöhnt. Nicht jeder Mitarbeiter fühlt sich wohl damit, den Chef plötzlich mit seinem Vornamen anzusprechen und dieser ist unter Umständen auch nicht all zu begeistert von einer derartigen Veränderung - etwa weil er fürchtet, seine Autorität würde infrage gestellt.

Manche Menschen fühlen sich wohler dabei, die Geschäftswelt förmlich zu halten und so vom Privatleben zu trennen. Es stellt sich an dieser Stelle auch die Frage, ob gerade bei flachen Hierarchien die Gefahr besteht, dass Grenzen im geschäftlichen Umgang überschritten werden. Begünstigt der Wandel hin zu einer offeneren und "privateren" Unternehmenskultur einen respektvollen Umgang zwischen den Mitarbeitern oder wird genau das Gegenteil bewirkt?

Weitere Diskrepanzen zeigen sich, sobald man das Konzept in Zusammenhang mit dem Wunsch nach besseren Aufstiegs- und Karrierechancen betrachtet. Dort wo keine Hierarchien herrschen, wo alle auf derselben Ebene sind, können Einzelne auch nur schwer aufsteigen. Dass Mitarbeiter keine Optionen sehen, ihre Karriere voranzutreiben, ist schließlich einer der häufgsten Gründe für einen Jobwechsel.

Gehen wir weg vom Individuum und sehen wir die Situation aus der Unternehmens- oder Team-Perspektive. Gibt es keine Vorgesetzten im eigentlichen Sinne, dafür aber großen Entscheidungsfreiraum für alle Individuen, ist das für letztere auch immer auch mit Druck verbunden. Entscheidungen zu treffen kann überfordern und geschieht das, kann es dazu kommen, dass Entscheidungen auch einfach nicht getroffen werden. Gerade bei einem Wechsel von traditionellen hin zu flachen Hierarchien ist die Gefahr groß, dass Verantwortlichkeiten unklar sind und im Einzelfall anderen Kollegen zugeschoben werden. Werden wichtige Aufgaben dann nicht erledigt, hat dies womöglich fatale Auswirkungen für das Team bzw. das Unternehmen.

New Work bringt viele Vorteile, doch das Konzept fordert seinen Tribut

Häufig werden moderne Ansätze und Technologien übertrieben vorteilhaft präsentiert. Man konzentriert sich dabei so sehr auf die Vorzüge, dass sämtliche Probleme, die möglicherweise oder sehr wahrscheinlich auftreten, vor einem breiteren Publikum verborgen bleiben. Auch beim Konzept New Work gilt es, zwei Seiten zu betrachten. Einerseits wird den Menschen eine Freiheit, eine Flexibilität und ein Komfort geboten, die in den vergangenen Jahrzehnten unvorstellbar gewesen wären. Diese Vorzüge fordern jedoch ihren Tribut: Sie fordern einiges an Anpassungsfähigkeit und einen Teil der Sicherheit, den die traditionelle Arbeitswelt ganz selbstverständlich mit sich brachte.

[1] Williams, Tennessee. A Streetcar Named Desire. Dramatists Play Service Inc. 1953, p. 84.

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Lena Wimmer
Über den Autor:
Lena Wimmer ist Product Marketing Manager bei Stackfield. Sie begeistert sich für die amerikanische Literaturgeschichte, aussagekräftigen Content und Kinematographie.
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